Dennoch gibt es in der Praxis oftmals Ärger um die verweigerte Anerkennung einer Berufsunfähigkeit. Immer wieder landet die Frage, wann ein Versicherungsnehmer konkret als berufsunfähig gilt, vor Gericht. Folgende wegweisende Urteile hat der Bundesgerichtshof (BGH) dazu gefällt:
Mehrere Tätigkeiten als Beruf
(Aktenzeichen IV ZR 182/17 von 16. Januar 2019)
Die Bewertung im Leistungsfall erfolgt auf Basis des zuletzt ausgeübten Berufs. Bei mehreren zeitgleich ausgeübten Tätigkeiten zählt der Beruf, der wesentlich zum Lebensunterhalt beiträgt. Ein Versicherter, der sowohl angestellt arbeitete als auch selbstständig mit einer Korallenzucht, konnte nach einem Sturz die Zucht nicht mehr ausüben. Die Angestelltentätigkeit konnte er allerdings noch zu mehr als 50 Prozent nachgehen.
Der BU-Versicherer wies den Leistungsantrag ab. Zu Recht, wie der BGH urteilte. Denn die Korallenzucht warf noch keinen Gewinn ab und sei daher als Freizeittätigkeit anzusehen. Ausschlaggebend für die Leistungsfallprüfung sei allein die Angestelltentätigkeit.
Der Zeitanteil und die 50 Prozent-Regel
(Aktenzeichen IV ZR 535/15 von 19. Juli 2017)
Auch eine Einschränkung von weniger als 50 Prozent im Beruf kann eine Berufsunfähigkeit darstellen. Entscheidend ist laut Urteil nicht allein der Zeitanteil der Tätigkeiten, die nicht mehr ausgeübt werden können. Wenn diese nämlich eine grundsätzliche Bedeutung für die weiteren Tätigkeiten des Berufs aufweisen, kann ihr Wegfall eine BU-Leistungspflicht begründen.
Im verhandelten Fall ging es um eine Hauswirtschaftlerin, die für bis zu 30 Personen einer Anwaltskanzlei unter anderem Essen einkaufte und zubereitete. Nach einem Sturz konnte sie nicht mehr schwer heben und litt unter psychischen Beschwerden. Ein Gutachten erkannte eine 20-prozentige Leistungseinschränkung, der Versicherer lehnte daher den BU-Antrag ab. Der BGH bestätigte jedoch den Anspruch. Denn, wenn die Frau nicht mehr einkaufen könne, sei für sie auch die Führung der Kantine nicht mehr zu leisten.
Bemessungsgrundlage ist letzte Tätigkeit
(Aktenzeichen IV ZR 527/15 vom 14. Dezember 2016)
Eine Berufsunfähigkeit bemisst sich auch an der Lebensstellung des Versicherten. Im vom BGH entschiedenen Fall stoppte ein Versicherer die Zahlung der BU-Rente. Der Versicherte, ein selbstständiger HNO-Arzt, war schwer an Arthrose erkrankt. Jahre nach der erfolgreichen Anerkennung seines BU-Falls nahm er eine Angestelltentätigkeit als Leiter eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) auf. Seine Praxis war in das MVZ überführt worden.
Der Versicherer argumentierte, eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit sei somit nicht mehr gegeben, denn die neu ausgeübte Tätigkeit des Arztes wahre seine bisherige Lebensstellung. Der BGH sah das anders, denn für die Prüfung der BU sei grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung maßgebend. Als selbstständiger HNO-Arzt hatte der Versicherte unter anderem ambulante chirurgischen Eingriffe durchgeführt. Die neue Tätigkeit als Praxisleiter sei damit nicht vergleichbar. Daher musste die BU-Rente weitergezahlt werden.
Diese Urteile zeigen, dass es eine allseits gültige Definition, wann exakt jemand berufsunfähig ist, nicht gibt. Jeder einzelne Fall ist unterschiedlich. Ein Versicherer muss daher jeden einzelnen Antrag prüfen und entscheiden. Die Urteile des Bundesgerichtshofs geben hier einen Rechtsrahmen vor.