Blog: Wie hat sich das Produkt BU in den letzten zehn Jahren qualitativ branchenweit verbessert?
Philip Wenzel: Ich finde, da hat sich nicht mehr viel getan. Den Verzicht auf die abstrakte Verweisung gab es schon vorher und die Arbeitsunfähigkeits-Klausel auch. Aber beides hat sich in den letzten Jahren am Markt durchgesetzt. Die AU-Klausel ist für alle Beteiligten ein Vorteil. Der Versicherer spart sich die Kosten einer Leistungsprüfung und muss keine hohe Rückstellung für den Leistungsfall bilden, da die Leistungsdauer immer auf ein paar Jahre begrenzt ist. Der Kunde kommt schneller und einfacher an die Leistung und der Vermittler spart sich vorerst die aufwendige und kostenlose Unterstützung im Leistungsfall. Den Verzicht auf die abstrakte Verweisung sehe ich aber eher kritisch.
Blog: Warum kritisch?
Philip Wenzel: So wichtig das für den einzelnen scheint, so fatal hat es sich auf die Kollektivgestaltung der Versicherer ausgeübt. Denn dadurch wurde die Absicherung vor allem in den handwerklichen Berufen aufgewertet. Das hat die Berufsgruppendifferenzierung angetrieben, was am Ende dazu geführt hat, dass sich heute nur noch Akademiker eine BU-Versicherung in vernünftiger Höhe leisten können.
Blog: Warum gelingt es der Branche trotz sehr gutem Leistungslevel nicht, noch mehr Kunden von der Relevanz einer BU zu überzeugen?
Philip Wenzel: Es scheint so, dass etwa ein Drittel bereits eine BU hat, ein Drittel sie sich nicht leisten kann und ein Drittel zu krank ist, um eine zu bekommen. Da die Vermittler nicht gern Einwände behandeln, konzentriert man sich auf diejenigen, die bereits eine BU haben. Da durch die Berufsgruppendifferenzierung Akademiker immer günstiger werden, kann man hier ganz einfach über den Preis verkauften. Die Kranken sind derzeit einfach nicht versicherbar. In manchen Fällen klappt das über eine saubere Aufarbeitung der Krankengeschichte, aber manchmal geht es eben auch nicht. Das größte Potenzial liegt bei denen, die sich die BU nicht leisten können. Wer hier bedarfsgerecht berät und die Absicherung in die verschiedenen Ausgaben des Kunden aufteilt, kann eine günstige und passende Absicherung finden.
Blog: Was müsste sich ändern, damit die BU eine Abdeckung ähnlich wie die Lebensversicherung erreicht?
Philip Wenzel: Dazu bräuchten wir zwei Veränderungen. Zum einen ein Produkt, dass nur vorübergehend leistet und uns während einer Umschulung unterstützt. Die wenigsten jungen Menschen würden für immer zu Hause bleiben, wenn sie berufsunfähig sind. Nur wer erwerbsunfähig ist, kann wahrscheinlich nie mehr arbeiten. Der Berufsunfähige kann umschulen. Und das sollte er auch. Für sich selbst, aber versicherungsmathematisch eben auch fürs Kollektiv. Außerdem wäre es sinnvoll, Zuschläge und Ausschlüsse in der Risikoprüfung anders zu gestalten. Wie wäre es zum Beispiel, wenn ein junger Mann mit zu hohem BMI keinen Zuschlag bekäme, wenn er mit einem Fitnesstracker und einer App regelmäßig nachweisen könnte, dass er sein Gewicht hält. Oder ein anderer bekommt keinen Ausschluss für den Rücken, sondern muss über eine App bestimmte Übungen machen. Das wäre auch bei vielen psychischen Erkrankungen denkbar.
Blog: Wie haben sich die Beratungskonzepte von Maklern zur BU verändert? Sind Makler hier haftungssicherer unterwegs als früher?
Philip Wenzel: Ich kann da nicht für den Markt sprechen. Das Umfeld hat sich eher dahingehend geändert, dass es haftungstechnisch gefährlicher wurde. Das hängt mit der DSGVO auf der einen Seite zusammen, aber auch mit der Produktvielfalt auf der anderen. Wenn ich jemanden zur BU-Versicherung berate und ihm diese zu teuer ist, dann muss ich ihn auf die Erwerbsunfähigkeitsversicherung, die Grundfähigkeitsversicherung, die Multi-Risk-Versicherung, die Dread Disease und die Unfallversicherung hinweisen, weil die alle unter Umständen günstiger sind. Der Kunde hatte ja nur den Preis moniert. Und wenn ich nicht haften will, wenn er erwerbsunfähig wird, eine Grundfähigkeit verliert, einen Unfall oder eine schwere Krankheit hat, muss ich es zumindest anbieten und dokumentieren, dass der Kunde auch diese Absicherungen nicht wollte. Einfacher ist es nicht. Deswegen berate ich persönlich nicht produktbezogen, sondern ausgabenorientiert.
Blog: Wie wird sich die BU bis zum Jahr 2030 konzeptionell verändern?
Philip Wenzel: Ich denke, die Versicherung ist bis dahin zu einer reinen Akademikerabsicherung verkommen. Daneben haben sich hoffentlich neue Produktideen etabliert, die besser zum Bedarf des Kunden passen und ihn unterstützen, wieder gesund zu werde oder umzuschulen, statt einfach eine Rente auszuzahlen. Dann wäre allen geholfen.